Andacht zum Sonntag Quasimodogeniti

Hören und sehen Sie die Andacht von Vikarin Friederike Wöhler auch unter https://youtu.be/d-ox1qpnqW4 (mit dem Aufruf des Links akzeptieren Sie die Datenschutzbedingungen von YouTube).

Christus ist auferstanden!
Heute ist der erste Sonntag nach Ostern. Die Osterbotschaft und die Osterfreude wirken bei mir noch nach, obwohl dieses Osterfest ganz anders war als sonst – viel kleiner und viel ruhiger, ohne gemeinsame Osternacht und ohne gemeinsames Osterfrühstück.

Aber heute können wir uns schon wieder über die Auferstehung Jesu freuen. Das Schöne ist, dass jeder Sonntag ein Feiertag ist, der an die Auferstehung Jesu erinnert.
Christ*innen erinnern sonntags nicht nur an den siebten Tag der Schöpfung, sondern auch an die Auferstehung Jesu. Daher gibt es beim Fasten auch traditionell den Sonntag als Ausnahme und Tag des Fastenbrechens. Die Fastenzeit ist nun vorbei.
Ich finde, gerade weil das diesjährige Osterfest so still war, sollten wir uns das dieses Jahr besonders zu Herzen nehmen!
Es muss nicht jeden Tag Geschenke geben. Es ist auch nicht jeden Tag Weihnachten, aber jeden Sonntag können wir ein kleines Osterfest feiern und uns an die Auferstehung Jesu erinnern!

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Alten Testament und zwar im Buch des Propheten Jesaja. Da frage ich mich zunächst: Was hat jetzt der Prophet Jesaja mit Ostern zu tun?
„Eigentlich gar nichts!“ sagt die Kritikerin in mir.
Aber was kann mir die Botschaft dieses Textes für unsere heutigen Situation sagen?

Bei Jesaja im 40. Kapitel heißt es:
Hebt eure Augen in die Höhe und seht: Wer hat dies alles erschaffen?
Eine Macht, die ihr Heer entsprechend ihrer Zahl herausführt. Sie ruft alle beim Namen.
Voll Macht und Stärke geht ihr keines verloren.
Warum sagst du so, Jakob, und sprichst du so, Israel: »Verborgen ist vor Gott mein Weg, mein Recht entgeht meiner Gottheit?« Erkennst du es nicht? Oder hast du es nicht gehört?
Die ewige Gottheit, Gott, hat die Enden der Erde geschaffen, sie wird nicht müde noch matt.
Ihre Einsicht ist unerforschlich.
Sie gibt den Müden Kraft und den Ohnmächtigen vermehrt sie die Stärke.
Junge Leute werden müde und matt und […] straucheln.
Aber die auf Gott hoffen, gewinnen neue Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie Adler.
Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.
(Textauszug aus: Bibel in gerechter Sprache © 2006, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH)

Was für eine Zusage!
Worte die Mut machen und Kraft geben in einer schweren Zeit!
Gott gibt den Müden Kraft. Und er stärkt die Ohnmächtigen.
Müde und erschöpft – so fühle ich mich nach einem langen Arbeitstag.
Nach so einem richtig anstrengenden Frühdienst, bei dem man kaum Zeit hatte, sich zwischendurch auch nur einmal hinzusetzen. Oder nach der Nachtschicht, wenn man endlich nach Hause kommt und den wohlverdienten Schlaf nachholen möchte.
Müde ist bestimmt auch der ein oder andere LKW-Fahrer nach einer langen Tour.
Müde sind sicher auch Eltern, die ein Gleichgewicht finden müssen zwischen Kinder beschäftigen und Arbeiten.
Müde kann man auch sein nach einer langen Lernphase, wenn nun endlich die Prüfungen vorbei sind, auf die man so intensiv hingearbeitet hat.
Müde kann man aber auch aus anderen Gründen sein. Müde sind sicher auch Menschen, die auf der Flucht sind. Nicht nur Müde, weil sie eine lange Reise hinter sich haben, sondern psychisch erschöpft wegen der vielen Sorgen und Ängste – wegen der schlimmen Erlebnisse in ihrem Heimatland und zwischendurch auf der Flucht.
Ohnmächtig – so fühle ich mich manchmal, wenn ich von großer Ungerechtigkeit, von Gewalttaten oder den neuesten Infektionszahlen höre.

Der Text spricht eine Gruppe von Menschen an, die offenbar in einer Krise stecken.
Erstaunlicherweise heißt es aber gleich darauf „Junge Leute werden müde und matt. Junge Leute geraten ins Straucheln.“
Junge Leute? Die sind doch immer fit! Stets voller Ideen, Tatendrang und Energie!? Die haben doch die Kraft! Die sind doch gesund. Warum denn jetzt die jungen Leute?
Wer jung ist, der hat doch alle Möglichkeiten.
Nicht umsonst gibt es das Wort „Jungbrunnen“. Jugend wird oft als Sinnbild für Energie oder Stärke verstanden. – Körperlich zumindest.
Wer meint immer alles aus eigener Kraft bewältigen zu können, wird früher oder später erfahren, dass das nicht immer stimmt.
Zur Zeit wird unsere Gesellschaft ausgebremst. Plötzlich geht nicht mehr alles einfach so.
Wer es gewohnt ist, sich auf die eigenen Kräfte verlassen zu können, kann zur Zeit leicht aus dem Gleichgewicht geraten. Gerade wenn man es nicht kennt, alleine zu sein und wer schnelle Erfolge gewohnt ist, tut sich jetzt vielleicht schwer mit der Situation des Abwartens. Wer sonst alles unter Kontrolle hat und nun darauf angewiesen ist, dass die Erlaubnis kommt, wieder Dinge wie früher tun zu dürfen, ist mit ganz anderen Umständen konfrontiert. In der Krise sind ungewöhnliche Fähigkeiten gefragt.
Einige – auch ich – sind gezwungen inne zu halten. Die Isolation hat viele Nachteile. Einiges wird erschwert. Aber ich sehe darin auch die Möglichkeit, sich einmal mehr auf das Wesentliche zu besinnen. Was ist in meinem Leben eigentlich wichtig. Und was gibt mir Kraft?
Bei manchem ist es vielleicht die morgendliche Yoga- oder Fitness Routine, bei einem Anderen ist es vielleicht der Spaziergang durchs Grüne oder ein Gespräch mit Freunden. Vielleicht ist es auch die Besinnung auf den eigenen Glauben.
Auf geistlichem und geistigem Gebiet, kann Erschöpfung auch die jungen Leute erfassen.
Auch wenn man nicht gerne über Erschöpfung spricht.  Aber spätestens dann ist es wichtig, sich einmal zu überlegen: Was tut mir gut und was gibt mir Kraft?
In diesem Text aus dem Jesajabuch ist zu lesen, dass diejenigen, die auf Gott vertrauen, Kraft bekommen, die Widrigkeiten zu ertragen. Und nicht nur die Widrigkeiten zu ertragen, sondern Kraft zum Fliegen – wie die Adler!
Adler gibt es hier in der Gegend eher selten. Diese majestätischen Tiere sind in der Kunst oft als Symbol für Macht und Herrschaft genutzt worden. Sie können wohl – je nach Art –  eine Spannweite von bis zu drei Metern haben. Beeindruckend. Und wenn man so einem großen Vogel beim Fliegen zusieht, kann man sehen, das auch der nicht immer so ganz von alleine und durch eigene Kraft fliegt. Auch die Adler brauchen immer wieder die richtige Thermik und den ein oder anderen Aufwind.
Das Jesajabuch ist einige Jahrhunderte vor Jesu Geburt entstanden. Und es ist über mehrere Jahrhunderte gewachsen.
Das Alte Testament ist ein Zeugnis jüdischen Glaubens. Aber auch als solches beschreibt es das Verhältnis zwischen Gott und Menschen.
Die Texte des Alten Testaments beschreiben denselben Gott, den Jesus Christus seinen Vater nannte. Und auch sie können zum Beispiel von menschlicher Schwäche und im Gegenüber dazu  von Gottes Treue und Macht erzählen.
Im Neuen Testament wird häufig auf das Buch Jesaja Bezug genommen.
Für die ersten Christusgläubigen hatten diese alten Texte auch eine besondere Bedeutung: In ihnen bzw. in der Kraft, die bei Jesaja beschrieben wird, fanden sie die Auferstehung Jesu wieder.
Und auch wir dürfen in unserer Schwäche auf sie vertrauen und (zumindest im Geiste) die Schwingen ausbreiten. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Vikarin Friederike Wöhler