Audioandacht „Loslassen“

Es ist nicht leicht, Nichts zu tun. Immer tue ich etwas. Ich sitze, liege, stehe oder gehe. Wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich zwar nichts. Aber wie soll ich das Hören sein lassen?

Und ohne zu riechen geht gar nicht. Atmen muss ich immer. Wenn ich ganz leise werde und nur auf meinen Atem höre, dann wird dieser immer lauter: Aus, Ein, Aus, Ein…

„Die Bevölkerung hat es gut gemacht und ist an den Ostertagen auf soziale Distanz gegangen.“ Sagen Politiker und Virologen. Der gewünschte Effekt ist eingetreten: Die Verbreitung des Corona-Virus hat sich verlangsamt. Doch in dieser Zeit, in der wir durch Weglassen etwas tun sollen, fühle ich mich herausgefordert. Die Gedanken kreisen in meinem Kopf, was wäre denn trotz des Nichtstuns noch möglich. Ich soll niemanden treffen, nicht wegfahren -meine gewohnte Arbeite wird dann schwierig – unnötig Einkäufe will ich vermeiden. Ich könnte ja etwas tun, was ich schon lange aufgeschoben habe? Beete bepflanzen, Rasen mähen, Aufräumen, Putzen, Renovieren – dafür hatte mancher schon vier Wochen Zeit. Mit irgendetwas Sinnvollen muss ich mich doch beschäftigen. So bin ich es gewöhnt.  Das hält mich am Leben. Im „Weglassen“ liegt eine ungewohnte Anforderung.Ich erfahre dabei, dass meine Möglichkeiten begrenzt sind. Ich erlebe, wie gering mein Einfluss auf die Situation ist. Ich muss es nehmen, wie es kommt, denn andere werden entscheiden.

Versuche ich es also einmal: Ich lasse los. Ich lasse mich sein. Ich bin da, ohne dass ich nach einem Sinn suche. Liebevoll blicke ich auf mein Leben, ohne dass ich irgendetwas tue. Religiös könnte man das als „Hingabe“ bezeichnen. Die größte menschliche Hingabe lässt sich an Christus selbst beobachten. Er überlässt sich am Ende seines Lebens. Er gibt sich hin – an die Situation, an andere Menschen, an Gott. Er greift nicht ein, als Judas ihn verrät. Er greift nicht ein, als die römischen Soldaten ihn gefangen nehmen. Er verteidigt sich nicht, als er von Pilatus verhört wird. Er überlässt sich. Das ist schwer auszuhalten. Dagegen ist mein „Loslassen“ nur eine kleine Aufgabe. Ich kann ja vergleichsweise noch viel. Und da wo es sinnvoll ist, will ich ja auch Einfluss nehmen. Aber ich spüre in diesen Tagen die ohnmächtige Seite des Lebens stärker als sonst. Zum Leben gehört nicht nur das Gestalten sondern auch das Loslassen. 

Gerade da, wo ich tatsächlich zur Ruhe kommen und aufhören in neuen Aktionismus zu verfallen, da wo ich es aushalten, dass es langweilig oder gar wüst und öde wird, kann etwas Neues entstehen. In der Bibel heißt es im Blick auf Ostern: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.Johannesevangelium 12,24