Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. So lautet ein Satz aus der Bibel zum Sonntag Judika.
Nichts ist selbstverständlich. Wir bauen schöne Häuser und richten uns ein, doch wir werden nicht ewig darin wohnen. Wir gestalten den Ort, an dem wir leben, und engagieren uns in Vereinen und Parteien, als Kaufmann, Handwerker, als Bewohner, doch irgendwann werden wir nicht mehr dabei sein. Andere werden die Geschicke lenken. Das wussten wir schon immer. Aber in diesen Tagen wird uns die Begrenztheit unseres Daseins besonders bewusst.
Niemand hat sich das vor ein paar Wochen vorstellen können, was die Bedrohung durch eine Krankheit mit uns als Gesellschaft macht. Krisen waren bisher persönliche Lebenskrisen. Jede und jeder einzelne musste mit einem Verlust, mit Krankheit oder Trennung umgehen. Für den Einzelnen war es aber auch möglich über lange Stecken dieses Thema in den Hintergrund zu drängen. Jetzt ergreift es die ganze Gesellschaft. Die Vergänglichkeit unseres Lebens ist schwer auszuhalten. Sie ist eine Kränkung des modernen Menschen, der doch glaubt, das Leben im Griff zu haben. Wir haben hier in dieser Welt kein bleibendes Zuhause. Diese Tatsache eint uns.
Die Passionszeit Jesu ist eine Abschiedszeit, die uns anleiten will, uns mit Leid und Schmerz auseinanderzusetzten. Sie dauert sieben Wochen, so lang wie sonst keine Zeitspanne im Kirchenjahr. Im Lied für den 5. Sonntags in der Passionszeit heißt es:
„O Mensch, bewein dein Sünde groß,
darum Christus seins Vaters Schoß
äußert’ und kam auf Erden;
von einer Jungfrau rein und zart
für uns er hier geboren ward,
er wollt der Mittler werden.
Sebald Heyden dichtete den Text um 1530. In 23 Strophen bedachte er die Leidensgeschichte Jesu. Zwei davon finden sich heute noch im evangelischen Gesangbuch.
Den Toten er das Leben gab
und tat dabei all Krankheit ab,
bis sich die Zeit herdrange,
dass er für uns geopfert würd,
trüg unsrer Sünden schwere Bürd
wohl an dem Kreuze lange.
Trotz aller Fremdheit, die ich beim Lesen dieser Zeilen empfinde, fordern sie uns auf, auf Jesu Kreuz zu schauen. Alte Auslegungstraditionen zur Passion sprechen von einer „heilsamen Trauer“, die man durchlebt, wenn man das Leiden Christi nachvollzieht. Wir sollen mittrauern, um mitzufühlen und um nicht wegzuschauen, wo andere leiden. Das Kreuz wirkt in diesen Tagen so real. In ihm sind wir verbunden in Sorge, in Krankheit und in Not. Im Kreuz liegt aber auch deshalb eine „heilsame Trauer“, weil aus ihm die Hoffnung spricht, dass unser Leid durch Jesu Liebe überwunden wird.
So lasst uns nun ihm dankbar sein,
dass er für uns litt solche Pein,
nach seinem Willen leben.
Auch lasst uns sein der Sünde feind,
weil uns Gotts Wort so helle scheint,
Tag, Nacht danach tun streben,
die Lieb erzeigen jedermann,
die Christus hat an uns getan
mit seinem Leiden, Sterben.
O Menschenkind, betracht das recht,
wie Gottes Zorn die Sünde schlägt,
tu dich davor bewahren!