Ein Mensch am Kreuz zeigt uns am Karfreitag die menschliche Zerbrechlichkeit. Vor ein paar Tagen noch war er kräftig, gesund und schön. Jetzt ist er zerschlagen und gedemütigt.
Er ist am Ende seiner Kraft. Der Christus am Kreuz zeigt uns die Verwundbarkeit unseres Lebens. Wer mag da schon hinschauen? Doch die Bilder aus den überfüllten Krankenhäusern, wo Ärzte um das Leben vieler Menschen ringen, sind wie ein Blick ans Kreuz. So zerbrechlich ist das Leben.
Schon vor Corona haben wir die Zerbrechlichkeit der Welt gespürt. Die Fridays for Future Demonstrationen haben gezeigt, dass unsere Welt gefährdet ist und wir die Ressourcen nicht immer weiter ausbeuten können. Das Corona Virus deckt unsere Verwundbarkeit schonungslos auf. Jede*r ist verwundbar – egal ob Arzt, Politiker, Senior oder Kind. Jeder Mensch hat seine wunden Punkte. Sie gehören zu uns und machen einen Teil der eigenen Geschichte aus. Denn nicht nur in unseren Stärken sondern durch unsere Wunden formt sich unsere Persönlichkeit. Beim russischen Schriftsteller Lew Tolstoi in »Anna Karenina« heißt es: „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“ Unser Schicksal mit seinen Brüchen und Neuanfängen macht uns zu der, die wir sind.
Die Mythologie hat immer wieder Helden hervorgebracht, die auf den ersten Blick unbezwingbar erschienen. Doch selbst Achilleus starb, als ein Pfeil seine Ferse traf. Und auch Simson in der Bibel verlor seine übermenschliche Kraft als man ihm sein Haupthaar schor.
Es gibt Bereiche, da verbindet sich Zerbrechlichkeit mit Schönheit. Zarte Dinge haben ihren besonderen Reiz. Mit ihnen muss man vorsichtig umgehen. Filigrane Figuren aus Glas zum Beispiel sind oft schön anzuschauen, doch schnell ist eine Kleinigkeit abgebrochen und damit die Schönheit zerstört. Wie oft ist mir schon eine kleine Figur oder ein schönes Gefäß als Mitbringsel von einer Reise kaputt gegangen. Sie waren zwar mit Mühe verpackt, doch ein einziger unbedachter Schlag ließ sie zerbrechen.
Zerbrechlichkeit mahnt zur Vorsicht. Mit unserem zerbrechlichen Leben müssen wir sorgsam umgehen. Dort, wo wir unsere Zerbrechlichkeit spüren, lernen wir Rücksichtnahmen. Das ist eine wichtige Botschaft in diesen Tagen. „Nehmt Rücksicht auf einander! Tut Dinge nicht nur für euch, sondern auch für die Gesundheit anderer.“
Als Jesus starb war er erst 30 Jahre alt. Das war auch damals noch kein Alter zum Sterben. Er war mitten in der Phase seiner größten Schaffenskraft. Seine Ausstrahlung begeisterte andere. Man traute ihm nach menschlichen Maßstäben einiges zu. Doch seine Liebe zerbrach an der Brutalität der römischen Besatzer. Als zerbrechlicher Mensch hatte er keine Chance. Der Mann am Kreuz hilft uns unsere eigene Zerbrechlichkeit anzuschauen.