Als im Oktober 2013 immer mehr geflüchtete Menschen in den Straßen von Winsen sichtbar wurden, beschlossen Pastor Markus Kalmbach und Superintendent Christian Berndt, aktiv zu werden. Gemeinsam mit vielen ehrenamtlichen Helfern wurde das Internationale Café gegründet, das seit inzwischen acht Jahren an jedem Samstagnachmittag im Gemeindehaus St. Marien als Ort der Begegnung und des Austauschs seine Türen öffnet. „Wir wollten Menschen bei Kaffee und Kuchen zusammenbringen“, sagt Markus Kalmbach.
Mit dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 kamen die Flüchtlinge nachts mit Bussen in Winsen an. „Ehrenamtliche haben sich verabredet, um in der Nacht zu den Bussen zu kommen und um die Menschen zu begrüßen“, erinnert sich Kalmbach. Bis zu 150 Personen kamen zu dieser Zeit an den Nachmittagen ins Internationale Café. Für die Skepsis vieler Menschen gerade in dieser Zeit hat er grundsätzlich Verständnis – aber vor allem ein Mittel dagegen: „Vorbehalte sind eine normale menschliche Reaktion auf Unbekannte. Die Begegnung ist das beste Mittel, um Vorurteile abzubauen. Ein großes Problem ist es, dass heute viele meinen, alles über andere zu wissen, ohne dass sie jemals mit ihnen gesprochen haben.“
Viele der Geflohenen haben seit ihrer Ankunft in Winsen ihren Lebensweg erfolgreich weitergeführt, häufig mit einer absolvierten Berufsausbildung. Die 27 Personen, die in den letzten zwei bis drei Jahren ihren Berufsabschluss erlangt haben, wurden am Samstag mit einer Feierstunde in der St. Marien-Kirche geehrt. Dabei sind die erlernten Berufe vielfältig: Von handwerklichen Berufen wie Maler, Elektriker, Lackierer oder Bäcker bis zu sozialen Abschlüssen als Erzieher oder Arzthelfer sind die unterschiedlichsten Professionen vertreten. Bei der Feierstunde sprachen Bundestagsabgeordnete Svenja Stadler, Bürgermeister André Wiese und Superintendent Christian Berndt den Absolventen in ihren Grußworten ihre Anerkennung aus. Pastor Markus Kalmbach bedankte sich bei Bäckermeister Frank Soetebier, der nicht nur seit Jahren Brot und Kuchen vom Vortag an den Samstagen bereitstellt, sondern auch wiederholt Flüchtlinge als Lehrlinge angestellt hat.
Bei aller Freude über die Erfolge der Absolventen erinnerte Markus Kalmbach daran, dass die Schwierigkeiten längst nicht aus der Welt seien: „Die Situationen in Afghanistan, im Mittelmeer und an den polnischen Ostgrenzen verdeutlichen, wie groß die Probleme auf der Welt gerade sind. Mauern und Zäune sind dabei keine Lösung. Wir müssen uns als eines der reichsten Länder der Welt unserer globalen Verantwortung stellen – zusätzlich zu den aktuell 85 Millionen Flüchtlingen auf der Welt wird für die kommenden Jahre eine Zahl von 200 Millionen Menschen prognostiziert, die aufgrund der zu erwartenden klimatischen Veränderungen keine Lebensgrundlage mehr haben werden und ihre Heimaten verlassen.“
Vor Ort könne unter den richtigen Voraussetzungen die Zuwanderung durch Flüchtlinge eine große Chance gegen den Fachkräftemangel sein, so Kalmbach: „Integration ist nur möglich mit Zeit, ehrenamtlicher Hilfe und Begleitung“, sagte der Pastor: „Dasein, Deutsch üben, miteinander sprechen – das hilft schon ganz viel.“ Jeder, der Deutsch spreche, könne alleine durch das gemeinsame Gespräch helfen. Gesucht seien für das Internationale Café auch Menschen für die Kinderbetreuung an den Samstagnachmittagen.
Am späten Nachmittag fand die Jubiläumsfeier mit einem besonderen Konzert seinen Abschluss: Der Pianist Aeham Ahmad, der auch bei der Absolventenfeier als Gast dabei war, trat bereits zum vierten Mal in Winsen und Umgebung auf. Er selbst ist als palästinensischer Flüchtling im syrischen Flüchtlingslager in Damaskus geboren und wurde als „Klavierspieler von Jarmuk“ bekannt, als er in den Trümmern der vom Bürgerkrieg zerstörten syrischen Städte auf einem transportablen Klavier spielte. Zum Konzert wurden einige dieser Erlebnisse als Auszüge aus seiner Autobiographie gelesen. Er lebt seit 2015 in Deutschland. (Text: Malte Frackmann)